Mehr als 12.000 Menschen starben oder verschwanden seit 2016 auf der Flucht über das Mittelmeer nach Europa. Zwar werden es jährlich immer weniger Migrierende, die den Weg auf sich nehmen; doch während 2015 noch jeder 269. Mensch ertrank, war diese Quote 2019 viel gravierender. Jeder 47. Mensch ertrank. (*1 *2)
Aufgrund von Repressionen gegenüber zivilem Einsatz und der wiederkehrenden Verhinderung des Auslaufens von Rettungsschiffen durch die EU-Staaten gibt es immer weniger Seenotrettende.
Der Weg übers Mittelmeer bleibt die tödlichste Seeroute der Welt –
Kein Mensch nimmt eine derartige Reise auf sich, wenn nicht aus großer Not.
Als Stamm des VCP Bayern sind wir Bündnispartner des Bündnisses „United4Rescue“. Dieses setzt sich für zivile Seenotrettung ein und hat in jüngerer Vergangenheit den Kauf des Rettungsschiffes „Sea-Watch4“ ermöglicht. Solange Fluchtursachen nicht wirksam bekämpft werden und staatliche, menschenwürdige Seenotrettung fehlt, sieht das Bündnis sich in humanitärer Pflicht zu handeln. (*3)
Die hannoveranische Pastorin Sandra Bils brachte am Kirchentag in Dortmund auf den Punkt, was viele Millionen Christen in Deutschand denken und offizielle Haltung der EKD ist: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“
Dem gibt es nichts hinzuzufügen!
Umso schlimmer, dass wir das Bedürfnis hatten, dies nochmals deutlich klarzustellen. Man kann über vieles diskutieren. Aber der Minimalkonsens muss stets lauten: Unter keinen Umständen darf man Menschen ertrinken lassen. Das ist nicht nur aus christlicher Perspektive unabdingbar.
Deswegen distanzieren wir uns als Pfadfinder:innen ganz deutlich von den Inhalten, die Dr. Matthias Dreher unter dem Titel „Ein Christ kann ertrinken lassen“ hat verlauten lassen. (*4)
Denn die Antwort darauf lautet schlichtweg: Nein.
Der Aufsatz stellt die These auf, dass ein Mensch der nach christlichen Wertvorstellungen lebt, sich nicht für die Seenotrettung Flüchtender einsetzen muss, und dies sogar guten Gewissens (nicht) tun kann.
Dreher unterscheidet zwischen zwei Situationen – ob der zu rettende Mensch vor den eigenen Augen ertrinken würde oder dies am anderen Ende Europas nicht sichtbar geschieht. Er kritisiert, dass Seenotrettung mit Schlepperstrukturen verflochten sei und das eine das andere stütze.
Diese nur als einzeln aufgegriffene Punkte aus dem Text.
Schlepperstrukturen sind hochproblematisch und eine gute politische Lösung zu finden ist kompliziert und nur unter Betrachtung vieler Gesichtspunkte möglich.
Doch die momentane politische Agitation ist unzureichend und solange sich das nicht ändert, ist es für uns niemals eine Option hilfesuchende Menschen ertrinken zu lassen.
Egal ob dies nun aus dem Gedanken christlicher Nächstenliebe geschieht oder aus der Achtung der Menschenwürde. Oder auch aus dem Bewusstsein heraus, dass die Gründe für unseren westlichen Wohlstand auf unfairen Strukturen basiert, die Fluchtursachen schaffen.
Egal warum, für uns gilt der Satz, der nun auch unseren Bauwagen neben der Melanchthonkirche ziert. „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“
Froh sind wir, dass wir mit dieser Meinung nicht alleine sind. Vielmehr hat die deutliche Kritik an den Aussagen von Dr. Dreher gezeigt, dass es anders herum ist. Die Kirche hat deutliche Worte gefunden (*5) und auch der Kirchenvorstand unserer Gemeinde hat Konsequenzen gezogen (*6). Eigentlich alle Menschen, mit denen wir gesprochen haben, haben mit Entsetzen oder zumindest Kopfschütteln reagiert und Hilfe angeboten.
An dieser Stelle sagen wir herzlich Danke, an alle die gezeigt haben, dass Menschenleben eben nicht egal sind! (*7)
Es geht uns nicht um persönliche Anfeindung, sondern vielmehr um die Distanzierung zu der veröffentlichen Meinung, die mit unseren pfadfinderischen Werten im klaren Widerspruch stehen. Unser Ziel ist es „die Welt ein bisschen besser zu verlassen, als wir sie vorgefunden haben“. Dazu gehört unserer Ansicht nach die zivile Seenotrettung genauso wie die Unterstützung aller Gruppen und Menschen in der Gemeinde, die sich für Geflüchtetenhilfe einsetzen.
*1 https://www.zdf.de/nachrichten/heute/massengrab-mittelmeer-jeder-elfte-fluechtling-stirbt-auf-dem-weg-von-libyen-nach-italien-100.html
*2 https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/mittelmeer/
*3 Für mehr Informationen: www.united4rescue.com
*4 erschienen im Korrespondenzblatt des Pfarrer- und Pfarrerinnenverein in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern Nr.10, Oktober 2020
*5 https://www.nordbayern.de/region/nuernberg/gegen-seenotrettung-nurnberger-pfarrer-erntet-heftige-kritik-1.10532554
*6 https://www.melanchthonkirche-ziegelstein.de/stellungnahme-zur-seenotrettung-aus-dem-kirchenvorstand/
*7 Insbesondere geht unser Dank auch an die Druckerei Print and Pixel, die uns das Banner gespendet hat!